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Hochsexualisierte Begegnungen gibt es "hier" ja sonst nicht.

© Iris Forstenlechner - Hochsexualisierte Begegnungen

#Köln macht mich wütend. Zwar gibt es schon einige kluge Kommentare dazu im Netz zu finden, die den Rassismus und Sexismus, die in dieser Diskussion Hand in Hand gehen entlarven, nach dem SZ-Posting mit dem Zitat: "Viele junge Muslime können nicht entspannt dem anderen Geschlecht begegnen. Das sind jedes Mal hochsexualisierte Situationen" platzt mir nun allerdings der Kragen. 

Ich bin jetzt 32. Seit meiner Pubertät haben Menschen des anderen Geschlechts Interesse an meinem Körper und meiner Sexualität bekundet. Ich habe relativ jung begonnen in einem Buschenschank (Heuriger/Weinschenke) auszuhelfen. Kommentare über meinen Busen und meinen Hintern waren dabei an der Tagesordnung. Ich wurde gefragt, ob meine Brüste echt sind, ob ich einen Freund hätte, ob ich noch Jungfrau sei. Mir wurden Kussmünder zugeworfen, mir wurde auf den Hintern getatscht. Teilweise waren es einzelne männliche Personen, teils waren sie in Gruppen unterwegs. So weit ich mich erinnere waren sie zwischen 19 und 60+. Ich war zwischen 14 und 17. Ob ich das angenehm fand, fragte sich niemand. Ich lernte dieses Verhalten als "normal", "nicht zu verändern" hinzunehmen. 

 

In meiner Jugend war ich eigentlich ziemlich selbstbewusst. Ich wuchs am Land auf und hatte keine Angst von dunklen Gassen. Vier Jahre ging ich Sternsingen und musste dafür bereits um 5 oder halb 6 Uhr morgens durch das halbe Dorf zum Pfarrhof gehen. Ja, zu Fuß. Das einzige wovor mir gruselte war der Schnee. In meinem Kopf war dunkle Schneelandschaft mit dem Glöckchenläuten des Schlittens in "Tanz der Vampire" verknüpft. Ich fürchtete mich also vor Vampiren. An Männer in der Dunkelheit dachte ich noch nicht. Unheimlich waren sie mir bislang nur im Hellen gewesen. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich es wagte einmal mit 16 Jahren allein in das Lokal zu gehen, in dem ich sonst oft mit FreundInnen war. Es war nicht ganz sicher, ob die Person, mit der ich mich treffen wollte, wirklich Zeit hätte, also fuhr ich mal auf Verdacht mit meinem Moped hin. Beim Warten kam ich mit einem etwa mitte Zwanzigjährigen ins Gespräch. Anfangs ganz nett, aber irgendwie ging das Gespräch in eine komische Richtung. Als er endlich die Toilette aufsuchte, zahlte ich schnell, rannte aus dem Lokal und fuhr in Windeseile heim. Ich hatte eine unbestimmte Angst und das Gefühl, dass ich mit Worten nicht gut abgrenzen konnte. Hatte ich doch bislang auch jegliche Bemerkung einfach als gegeben hingenommen. 

 

Dabei kannte ich diese Beklemmung gut. Seit der Hauptschule ist sie mir von Bushaltestellen bestens bekannt, wenn bekannte oder auch unbekannte Burschengruppen herumstehen und Mädchen beäugen, kommentieren und beschimpfen. Das Ganze IMMER in einem sexualisierten Kontext. Ich dachte, das würde sich ändern, wenn ich in die nächsthöhere Klasse käme und die jüngeren Kids (Jungs) dann quasi Respekt vor uns "alten" hätten (wie wir Mädchen zumindest). Hat es sich aber nicht. Ich fühle mich noch heute unwohl, wenn ich an einer Gruppe junger Burschen vorbeigehe. Das liegt nicht an einer Paranoia, das liegt an den vulgären Handbewegungen, das liegt an den vulgären Bezeichnungen, die sie jeder Frau an den Kopf werfen, die ihr Territorium passiert.

Die einzige Zeit in der ich "sicher" war, war während meiner sichtbaren Schwangerschaft.

 

Als ich ganz kurze Haare hatte und einmal den Bus betrat in dem vorne gerade nur junge Burschen saßen, wurde lautstark an meiner Geschlechtsidentität gezweifelt - weil kurze Haare: kann ja keine Frau sein. (Sidenote: Verstoß gegen das Frauenklischee der wallenden Mähne - darum auch Skandal bei Rihanna und Miley als sie sich von ihrer trennten.)

 

Ich kann mich erinnern an Beschimpfungen wie "Fotze" um 8 Uhr früh - einfach so an von irgendeinem Unbekannten im alkoholisierten Zustand, ich kann mich erinnern an ein "Geiler Arsch, darf ich den mal ****" ebenfalls in der Öffentlichkeit am helllichten Tag. Ich schreibe hier nicht, was ich anhatte, obwohl ich ja von klein auf gelernt habe, Frauen sollen sich nicht so nuttig anziehen, dann wird ihnen schon nichts passieren. Gelernt habe ich das, weil ich in einer Gesellschaft lebe, in der Männer als triebgesteuert gelten, die ihren Druck abbauen müssten. Deshalb gäbe es auch Prostituierte, deshalb gibt es auch ein viel größeres Angebot an weiblicher Sexualassistenz für Männer mit Behinderung, weil Frauen sind ja keine sexuellen Wesen. Die begehren nicht, die werden begehrt. So lernt mensch das. Victim blaming, street harassment und rape culture sind übrigens die Schlagworte dazu.

 

Dabei bin ich ja froh, dass sich vor mir noch nie jemand in den Öffis oder im Park einen runterholt hat. Das ist keine Seltenheit. 

 

Irgendwer - ich weiß nicht wer - bringt Burschen auf ihrem Weg zum Heranwachsen auch bei, dass es scheinbar cool sei oder ein Kompliment, wenn mann den Körper einer Frau innerhalb einer Gruppe in der Öffentlichkeit lautstark bewerte - nämlich nach fuckability-Status. Wenn die mit "Komplimenten" Bedachte dann nicht freundlich reagiert (was sie selten tut) oder beschämt wegguckt (was sie meistens tut), sondern kontert oder sich aufregt (weil das nämlich Street Harrassment ist), dann wird sie eine Zicke, Hure, Schlampe oder hässlich genannte. Aufgemalte Pimmel an allem möglichen und unmöglichen Stellen im Öffentlichen Raum sowie "xy ist eine Schlampe"-Sprüche mit dazugehöriger Telefonnummer und "xy ist schwul" - ebenfalls mit Telefonnummer rollen für diesen verbalen Durchfall quasi den roten Teppich aus. 

- Das dieses ganze Szenario niemals positive vibes verbreitet, sondern höchst unangenehm ist und nicht gerade zum ersten Date führt, bleibt leider ein bis ins hohe Alter nicht gelüftetes Geheimnis.

 

Ich wohne in einer Großstadt. Groß genug, dass sich die Landbevölkerung teils abends nicht mehr ins Auto  setzt um hierher zu fahren, obwohl praktisch kaum etwas im öffentlichen Raum passiert. Dass ich bestimmte dunkle Gassen meide, außerhalb der Innenstadt nachts nur mit dem Taxi unterwegs bin, weil rundum einfach kein Licht mehr in den Einfamilienhäusern der umliegenden Bezirke brennt und kein Kebabstand mehr offen hat, dass ich wenn es draußen finster ist, aus dem Bus automatisch mit einem Handy in der einen Hand und einem Schlüsselbund zwischen den Fingern der anderen Hand aussteige - das ist normal. Oder schnell noch nach Hause telefoniere, wenn der Weg weit ist. Zumindest habe ich das lange getan. Mittlerweile wehre ich mich gegen diesen Generalverdacht. Aber es ist nicht leicht. Denn mir wurde wie vielen anderen Frauen eingepflanzt, dass irgendwo hinter einer Häuserecke ein Vergewaltiger lauert, vor dem ich ja auf der Hut sein soll. Genauso wie ich mein Getränk fast panisch im Auge behalte, seit ich in die Disko gehe, denn es könnte ja jemand K.O.-Tropfen reinkippen und mich dann vergewaltigen. Letzteres ist weniger eine Mär. Gegen ersteres spricht die Statistik. In jedem Fall aber habe ich von klein auf gelernt: Männer sind gefährlich, frau kann nie vor ihnen sicher sein. (Um Muslime ging es dabei aber nie in der Warnung.) 

 

Als ich mich auf Weltreise machte, war die erste Frage immer: "Allein?" und zwar mit einem speziellen Unterton - denn ich bin eine Frau ergo sexuell verwundbarer. Ich gehöre dem schwachen Geschlecht an. 

 

Und tatsächlich, der Vater eines Kindes, das ich als Sozial- und Lernbetreuerin über mehr als ein Jahr begleitete griff mir in einem Moment, als wir zufällig kurz allein waren und ich auf eine Unterschrift von ihm wartete auf den Busen und versuchte mich zu küssen. Ich sah diesen Moment niemals kommen. Ich hatte zwei der Kinder betreut, mit der Familie Kochrezepte ausgetauscht, blieb oft noch zum Plausch nach getaner Hausaufgabe und war total perplex und erstarrt in diesem Moment. Ich konnte mich nur wegdrehen und halb stimmlos "nein" sagen. Meinen Posten übernahm eine andere, die ca. 1,80 m groß war. (Ich bin 1,61m). "Bei der wird er sich das wohl nicht trauen." Ich machte mir Gedanken darüber, was ich immer bei der Arbeit angehabt hatte und fragte mich, ob ich vielleicht nicht doch ein bisschen Schuld an diesem "Ausrutscher" sei.

 

Ein anderes Mal war ich in einer Diskothek . Mit einer Gruppe von Mitreisenden hatte ich schon ein bisschen "vorgeglüht". Mit einem aus der Gruppe hatte ich ein bisschen geflirtet, aber ich war mir nicht ganz sicher. Sprachbarriere und so. In der Disko angekommen gings gleich auf die Tanzfläche und wenig später wurde geschmust. So weit, so okay. Bis er beim Tanzen plötzlich hinter mir stand und mir seine Hand in die Hose schob. Hilfesuchend sah ich mich um. Ich zu beschwipst und zu erstarrt um wirklich adäquat auf diese Situation zu reagieren. Hat niemand bemerkt, hat niemanden gestört. Aufgrund seiner Körpergröße und dem festen Griff um meine Schultern, konnte ich mich nicht gleich befreien. Wie mensch von ein bisschen unbedarften Schmusen gleich auf dieses Level an Intimität kommt war mir schleierhaft. Ich war zutiefst geschockt und verzog mich einfach. Am nächsten Morgen schien er nichts mehr davon zu wissen, oder überhaupt von irgendwas in der Richtung. Ich hab nicht weiter darüber nachgedacht. War halt so, Pech gehabt. Ist ja nicht so, dass ich nicht x-Male Sex gehabt hätte (bis zu diesem Zeitpunkt), um eine Beziehungskrise zu vermeiden unabhängig von meiner Lust. Recht auf meinen Körper? Pfff.

Als ich mich etwa ein halbes Jahr später mit sexualisierter Gewalt auseinanderzusetzen begann wurde mir erst bewusst, dass dieses Verhalten von dem Typ absolut nicht "normal" oder okay war. 

 

"Viele junge Muslime können nicht entspannt dem anderen Geschlecht begegnen. Das sind jedes Mal hochsexualisierte Situationen." #köln

 

 

Das steht als großes Zitat im aktuellen SZ-Posting. Ja, das mag sein. 

 

 

Aber wie viele junge Männer und Frauen können generell "entspannt" in jeglichem Kontext dem anderen Geschlecht begegnen? 

Offensichtlich geht das nicht mal im Karneval, wenn die Oberbürgermeisterin von Köln schon eine Armeslänge Abstand fordert. Sorry, aber Gruppen von (jungen) Männern sind mir immer unangenehm - ob sie am Stammtisch im Wirtshaus sitzen, sich auf dem Oktoberfest zuprosten, sich an Bushaltestellen zum "Schnecken checken" zusammenrotten oder auf dem Kölner Bahnhof herumstehen.

Und natürlich pauschaliere ich hier, weil ich nur von Männern als Tätern und Frauen als Opfer rede, aber das ist auch gerade Gegenstand der Diskussion. Ein fatales Männerbild haben nicht nur muslimisch geprägte Gesellschaften - Patriachat ist nahezu überall auf der Welt. Welche Auswirkungen das auch auf männliche Opfer von sexualisierter Gewalt hat habe ich bereits an anderer Stelle ausgeführt. Wir sollten uns aber hier fragen, was wir tun können, damit Männer - egal wo sie geboren sind - nicht zu Tätern werden. 

 

Aber die sexualisierte Gewalt die viele Frauen und Mädchen auf der ganzen Welt täglich von ihren Partnern und Familienmitgliedern erleben (die nicht zwangsweise muslimisch sind), der Alltagssexismus im deutschen Sprachraum, der zumindest mit #aufschrei 2013 oh Wunder ein mediales Echo erreicht hat und die Tatsache, dass wir noch immer über rape culture und Täter-Opfer-Umkehr diskutieren müssen aufgrund solcher irrwitzigen Vorschläge wie #einearmlänge zeigt ziemlich deutlich,

 

dass wir von einem entspannten Umgang mit dem anderen Geschlecht auch ohne Zuwanderung noch meilenweit entfernt sind. Sexualisierte Begegnungen sind unser Alltag. -> #aufschrei

 


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© Katja Grach - Damit Kind kein Täter wird
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