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Zwischen Burnout, durchatmen und Lockdown

Was passiert eigentlich, wenn Menschen, die vorher online sehr präsent waren, plötzlich von der Bildfläche verschwinden? Manchmal geht's ihnen gut und ihre Prioritäten liegen anderswo. Manchmal geht's ihnen auch ziemlich "durchwachsen". Bei mir traf letzteres zu. Absolut nicht ausschließlich, aber 2016 habe ich mich vom Vater meines Kindes getrennt. Das war eine ziemlich harte und anstrengende Zeit, in der ich vor allem aus einem Grund nicht gebloggt habe:

 

Ich hab mich geschämt.   

 

 

 

Trotzdem habe ich nicht aufgehört zu schreiben; bloß anderswo oder nicht öffentlich. Dieses Jahr war ziemlich herausforderndes für viele. Auch für mich. Allerdings hatte/habe ich den Luxus einiger Privilegien genossen, die mir den finanziellen Raum ermöglich haben, einiges in mir auseinander zu "klauben", neu zu bewerten und anders zu betrachten.

 

Da ich am meisten in der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Perspektiven anderer lerne, möchte ich auch hier im Netz wieder so einen Platz bieten, an dem mensch mir ins Hirnkastl schauen kann, sich getrost davon abgrenzen oder sich drin wiederfinden kann. In jedem Fall "You are welcome." Für den Anfang hab ich einige Texte und "Aha-Momente" aus den letzten Monaten schon mal online gestellt. 

Zur Vorgeschichte des Abtauchens

Wie viele andere auch, verfalle ich gerne der Illusion und dem Traum der romantischen Liebe inkl. Vater-Mutter-Kind-Friede-Freude-Eierkuchen. Dieses Ideal nicht zu erreichen, es sogar "zerstören" zu müssen, fühlte sich 2016 unglaublich nach Versagen, nach Scheitern an. Allein mit dem Kind auf den Spielplatz zu gehen und Elternpaare zu sehen,... allein in der Stadt mit dem Kind spazieren und Elternpaare zu sehen...überall diese fucking Elternpaare... Und überall diese Menschen mit scheinbar glücklichen Beziehungen...jede einzelne fühlte sich an wie ein bohrender Finger in meiner Wunde. 


Worüber sollte ich dann hier noch schreiben? Ich fühlte mich, als hätte ich alle Glaubwürdigkeit verloren. Als dürfte ich nichts mehr über Elternschaft, Sexuelle Bildung oder allgemeine Erkenntnisse schreiben, weil ich doch versagt hätte auf ganzer Linie. 

 

Zur selben Zeit professionalisierten sich viele Blogs, denen ich folgte und die persönliche Note verschwand zunehmend. Auch bei mir. Der Verein, bei dem ich tätig war, wurde 2017 gebeutelt von Angriffen aus rechtskonservativen Kreisen, die die Frage aufwarfen, wie wir uns in der Öffentlichkeit darstellen wollen. Plötzlich hatte ich das Gefühl, nicht mehr mein Alter-Ego "krachbumm" sein zu können, sondern meine Stimme zu verlieren. Unsere Kampagne drehte sich schließlich um einen "unaufgeregten" Zugang zu Sexueller Bildung. Bloß bin ich als Person eben alles andere als unaufgeregt. Aber wenn sich jemand mit der eigenen Arbeit so identifiziert wie ich, dann ist die Trennung zwischen: Was ist meine Arbeit und wer bin ich als Privatperson ziemlich schwierig. Also versuchte ich mich auch eine Zeit lang als "unaufgeregte" Person. Wurde weniger "krachbumm"-haft. Bloß, über was sollte ich hier noch schreiben? Mein kreativer Motor war schließlich lange die Wut.

Ausgelaugt in 3 Etappen

Was ich schließlich stattdessen schrieb war 2017 ein Buch, dessen Auftrag ich schon lange vor mich herschob, weil ich mir dafür keine Zeit nehmen wollte. Natürlich klingt ein Buch zu schreiben irgendwie "cool", quasi Kindheitstraum. Aber reingequetscht in Trennung, Arbeit und als Sachbuch, ohne der Muse in mir, die es kaum erwarten konnte, all die Wörter aufs Papier zu bringen, war das nicht der große Burner. Es entstand schließlich in den Wochen, in denen mein Kind die Zeit beim Papa verbrachte, zwischen tinder und Therapie. Zwischenzeitlich kam ich in den Flow, machte es Spaß. Da waren aber auch jede Menge großer Sorgenwolken, die sich über mir zusammenbrauten.

 

Was wenn ich auch noch mit so antifeministischen Angriffen zu tun hätte wie viele andere Autorinnen? Was wenn mir dann auch jemand sexualisierte Gewalt wünschte und Ähnliches? Gleichzeitig hatte ich Sorge, meiner Arbeitsstelle zu schaden, wenn ich nicht allzu "unaufgeregt" rüberkam. 

Die "Milf-Mädchenrechung" wurde schließlich 2018 veröffentlicht, es folgten unzählige Interviews und das war super, aber ich war ausgelaugt. Ich hatte Null Bock, das Buch noch weiter zu bewerben. Mir fehlte der direkte Austausch mit Leser*innen. Der vermeintliche "Ruhm" eines Falter-Artikels und Ähnliches tat nichts für mein Ego. Ich hatte so hingehetzt auf diesen Termin, ich war einfach nur noch leer. Eigentlich hätte ich ja auch immer lieber einen Roman geschrieben... (first world problems, I know)

 

Dann kam wieder ein Projekt in der Arbeit, das mir unglaublichen Spaß gemacht hat, aber aufgrund nicht-beeinflussbarer Umstände mussten wir eine Deadline um mehrere Monate vorverlegen und es wurde eng in meiner Brust. Ein Tüpfelchen auf dem eh schon berstenden i in mir.

 

Als ich im November 2018 mit meinem neuen Partner nach Island reiste, um mir ein paar meiner Lieblingsbands anzuschauen, wollte ich schon am liebsten dort bleiben. Nur aufs Meer und auf die Berge schauen. Auf einem Bauernhof arbeiten und mensch sagt mir, was ich zu tun habe. (Das ist immer meine idealisierte Vorstellung, wenn mir alles über den Kopf wächst). Nicht denken, nur tun. Nur bewegen, nur Schafe füttern. Irgend so etwas. Am Ende des Jahres änderte ich die Domain von "krachbumm.com" schließlich auf "tiefdurchatmen.com."

2019 versuchte ich dann besser auf meine Ressourcen zu schauen, öfter nein zu sagen, mir Inseln zum Durchatmen zu schaffen. Ich zog mit meinem Partner zusammen an den Rand der Stadt, weil ich endlich einen Wald in Geh-Weite wollte und ein ruhigeres Umfeld fürs Kind und mehr alltägliches Familienleben. Aber den Wald besuchte ich trotz Umzug im Frühjahr bis zum darauffolgenden November nie, das Pendeln zum Kindergarten und Arbeit mit den Öffis war anstrengend, die Teamkonstellation in der Arbeit änderte sich mehrmals unvorhergesehen und die Sicherheit, die ich an irgendeiner Stelle gebraucht hätte, war nicht vorhanden; Patchwork-Familien-Mental Load inklusive. Plötzlich ergab sich auch noch die Möglichkeit mit einer Kollegin, die Geschäftsführung zu übernehmen in einem von Workshops nur so gedrängten Herbst, in dem das Kind eingeschult wurde. Weil ich gut im Grenzen ignorieren bin und mich verantwortlich fühlte, sagte ich auch nicht nein.  

Sand im Getriebe

Die Migräne und den schlechten Schlaf steckte ich noch ein bisschen weg. Die Verspannungen und Schmerzen in der Lendenwirbelsäule waren schon schwerer zu ignorieren. Die kurzen Gedanken vorm Überqueren der Straße, dass mich der nächste Bus überfahren wird oder, dass ich gleich mit dem Rad verunglücken werde, läuteten dann schon langsam den Alarm ein. Aber es brauchte erst einen Workshop, den ich voll funktionierend aber im dissoziativen Zustand abgehalten habe und ein durchgeheultes Wochenende, bis ich ein paar Termine abgeben konnte; und ein weiteres verheultes Wochenende, an dem der Stresspegel nachließ und eine Panikattacke am Supermarktplatz beim Gedanken in 2 Stunden einen Workshop zu halten, bis ich in Krankenstand ging. Das war letztes Jahr Mitte November.

 

Dann ging ich das erste Mal in den Wald spazieren. Dann begann ich auch mit Arial Yoga. Dann suchte ich mir auch eine Geigenlehrerin und begann wieder zu spielen. Mein Hausarzt meinte, ich hätte ein Leistungsthema. "Pfff", dachte ich mir, "so ein Blödsinn. Ich bin ja weder perfektionistisch noch ehrgeizig, ich mache ja alles nur aus Spaß. Und überhaupt finde ich das Wort Leistung total blöd. Das passt überhaupt nicht zu mir." 

 

Kurz vor Weihnachten arbeitete ich dann wieder probehalber eine Woche. Die Migräne an den ersten beiden Tagen war sicher wegen dem Fönwind...Die beginnenden Schmerzen bzw. Verspannungen in den Beinen vermutlich noch vom Herbst. Die Magenkrämpfe, die die Migräne ablösten sicher auch nur Zufall. Die Arbeit machte außerdem wieder Spaß. Nach zwei Wochen Weihnachtsferien sollte es wieder losgehen. Und es ging los. Mit Vollgas häufte ich wieder zu viele Stunden an, obwohl ich zweimal die Woche zur Physio ging wegen der Schmerzen, die einfach nicht verschwinden wollten, weiterhin zum Yoga ging und zur Geigenstunde und in den Wald. Das tat mir ja schließlich alles gut. Die Arbeit machte doch Spaß. Bis Ende Februar der Stress dann wieder so groß war, dass ich einen grippalen Infekt bekam, liegen bleiben musste und feststellte, dass ich zwei Vorträge in Graz und Berlin für die Milf-Mädchenrechnung im März keinesfalls halten konnte. Das brach mir fast das Herz. Für beide konnte ich Ersatz finden, aber nicht nach Berlin fahren und endlich Patricia und Susanne persönlich kennenlernen, und nicht endlich wieder Mareice treffen? Aber es ging nicht. Alle Veranstalter hatten Verständnis dafür. Und ich bemerkte langsam aber sicher, dass ich doch ein "Leistungsthema" habe.

 

Als ich schließlich in der Arbeit verlautbarte, dass es mir schon wieder schlechter ging, folgte wenige Tage darauf der erste Lockdown in Österreich und Homeschooling stand an. Ich entschied mich gegen die Kurzarbeit und für Bildungskarenz als Zwischenlösung. Da die Unis bereits auf Fernunterricht umgestellt hatten, machte dies mein Leben um einiges leichter. Bis zur Bildungskarenz dauerte es aber noch bis Mai. Dazwischen versuchte ich mal meine Quarantäne-Gedanken zusammen zu fassen, veröffentlichte dann den Beitrag aber doch nicht. Hier ein kleiner Auszug:

"Als ich letztens die Meditation von DariaDaria zu Gelassenheit am Morgen noch 10 min verinnerlicht hab, wurde hier zwei Stunden später schon geheult. Von mir nämlich, als ich feststellte, das die massenhaften Schulaufgaben, gegen die ich eh schon bei der Lehrerin und innerlich rebelliert hatte, vom Kind beim Papa noch schlampiger gemacht wurden, als meine eh schon niedrigen Ansprüche. Das Kind fand mein Gezeter kacke, tat seinen Unmut kund und zeigte mir die Zunge. Ich tat mir schwer, diese Kritik als konstruktiv einzustufen, wurde gleich noch wütender und schickte das Kind ins Zimmer. Dort blieb es dann und schmollte, während ich heulte und heulte, weil ich es einfach schon so satt hatte, der emotionale Punching-Bag zu sein, Freundesersatz seit 6 Wochen und Dauer-Spielkameradin, Angestellte, Köchin mit einem Kind, das Gemüse nur roh isst und auch noch Lehrerin." 

 

Vom Selbstwert und vermeintlicher Faulheit

Im Mai ging dann die Schule wieder für einzelne Tage los, die Bildungskarenz auch und ich beschloss die zweiten Prüfungstermine im September zu nehmen. Gleichzeitig überlegte ich mir, wie mein berufliches Leben weiter ausschauen sollte. Ich machte tausend Pläne und war trotzdem besorgt, ob ich denn dann schon wieder "arbeitsfähig" wäre. 

 

In den wenigen Schultagen, an denen das Kind im Juni außer Haus war, gab es Zeit zu schreiben und für Erkenntnisse...übers Dahinwursteln, die Scham und was ich tue, wenn ich eigentlich "nichts" tue.

 

Der Sommer war für uns im Übrigen ganz okay. Der August war schließlich durchwachsen mit viel Lernen und viel Trauer, da meine Oma recht unerwartet verstorben ist. Ich war ehrlich froh, immer wieder Tage zu haben, an denen ich meinen Schmerz rausweinen konnte und es sonst nichts "Wichtiges" für mich zu tun gab. Es tat gut, nichts wegdrücken zu müssen. Ein Privileg.

 

Als die Sommerferien fürs Kind begannen, hab ich endlich gelernt, in den Tag hineinzuleben. Davor bin ich ohne Struktur sofort gestrauchelt und in depressiven Gedanken ertrunken. Zum ersten Mal habe ich mir nichts zwingend vorgenommen. Es gab ohnehin nicht viel, was sein "musste". Dafür hatte ich endlich Zeit, nachzudenken, mir ohne to do's im Hinterkopf Zeit für meine Familie und für meine Beziehung zu nehmen. Auf einmal hat sich in meinem Leben nicht mehr alles um die Arbeit gedreht. (Mir ist durchaus bewusst, dass ich hier in einer privilegierten Situation bin, dass ich mir das aktuell leisten kann.)

 

Mittlerweile gönne ich mir sogar Schlaf, wenn ich müde bin am Vormittag und gehe auch mal früher schlafen. (Fast) ohne schlechtes Gewissen, "nichts" mehr Produktives gemacht zu haben.

Wie geht's weiter?

Mein Dienstverhältnis wurde mittlerweile in beiderseitigem Einverständnis aufgelöst. Derzeit bin ich nicht erwerbstätig bis auf eine Lehrveranstaltung an einer Hochschule. Sie ist quasi mein persönlicher Test, ob ich noch in dieser Form weiterhin mit Menschen arbeiten möchte oder nicht. Ich lote meine Optionen aus und habe Pläne, mich selbständig zu machen. Nicht von heute auf morgen, sondern Schritt für Schritt. Und bis dahin mag ich auch wieder bloggen und ins Internet hineinschreiben :) - ungeglättet und ohne Marketingstrategie dahinter, aber durchaus mit Ideen wo das hinführen könnte.

 

Als mich kürzlich eine der Studierenden darauf angesprochen hat, dass wir uns kennen würden, da ich mit einem Freund von ihr ein tinder-date hatte, bin ich zuerst fast im Erdboden versunken und hab mich kurz geschämt. Dann allerdings dachte ich mir: Bullshit, ich mag mich nicht mehr/wieder verstecken. Ständig predige ich, wir sollten zu unseren Gefühlen stehen und uns sichtbar machen. Und siehe da: Ich bin ein Mensch mit einem Privatleben. Manches davon erzähle ich freimütig, manches nicht. Manches möchte ich erzählen, hab es bislang aber nur in anonymer Form im Internet gewagt (von wegen Tabu und so) und manches geht niemanden etwas an. In jedem Fall fühle ich mich aber nur dann ganz, wenn ich mich so komplex zeigen darf und kann, wie ich als menschliches Wesen nun mal bin. Darum werde ich mich darin nun auch online (wieder) versuchen. 

Und nun: Schreibt mir! Was tut ihr, wenn ihr "nichts" tut? Wie ging's euch in diesem herausfordernden Jahr? Was wollt ihr lesen? Was wollt ihr mir erzählen? 

Alles Liebe - ich bin wieder da.