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Workaholic

Wer bin ich?

 

Ich bin Arbeit. Ich bin tausend Dinge auf einmal. Ich bin viele Talente. Ich bin intensiv. Ich bin Maßlosigkeit. Ich bin Organisation. Ich bin Multitasking. Ich bin “Wie schaffst du das?”

 

Ich bin am Ende meiner Kräfte.

 

Wie ich das schaffe? Ich gehe konsequent über meine Grenzen.

 

Warum? Weil ich sie nicht gut genug kenne. Oder glaube, ich darf nicht auf sie hören.  

 

 

 Als ich im Herbst letzten Jahres nach ein paar arbeitsintensiven Wochen mit einem Tränenausbruch meinen Feierabend begann, erlaubte ich mir das erste Mal, mir einzugestehen, dass ich nicht mehr kann. Wobei...eine Woche lang machte ich noch weiter, bis ich wieder mein Wochenende mit Tränen der Erschöpfung begann und die nächste Woche mit einer Panikattacke beim Lebensmittel-Einkaufen. Dann bin ich zum Arzt gegangen und wollte zuerst lieber noch meine Überstunden abbauen. Er musste mir mehrmals versichern, dass Zeitausgleich etwas ist, das mensch bekommt, weil er an anderer Stelle zu viel gemacht hat. Wenn mensch arbeitsunfähig ist, dann geht eine*r allerdings in Krankenstand. Er sprach irgendwas von einem “leistungsorientierten Erwachsenen-Ich” und ich dachte nur: “Hä? Leistung, pfui. Ich bin doch gegen Neoliberalismus und Leistung, Leistung, dieses Wort mag ich sowieso nicht.” Es hat dann noch ein paar Monate gedauert und sehr schmerzvolle Absagen und wieder Tränen und eine Grippe, bis ich soweit war mir einzugestehen: Okay, Leistung ist doch voll mein Thema. Und dann kam Corona und Homeschooling und Homeoffice und Einzelkind ohne Kinder für viele Wochen und Ängste, und krasses Vermissen von direkten Gesprächen und relativ schnell die Entscheidung: Geht nicht. Geht alles nicht. Bildungskarenz. In diesem kleinen Schlupfloch sitze ich nun. Dafür muss ich dann erst wieder mit ECTS-Hirnschmalz bezahlen, aber derweil fühlt es sich noch wie ein großer Freiraum an. Und danach sehen wir weiter.

 

Es ist was es ist. Und es ist schwierig. 

Inzwischen allerdings kam die Einsicht, mein Selbstwert bemisst sich leider ungemein an Leistung. Ich komme aus einer Familie, in der viel geleistet werden musste, um die sozioökonomische Herkunft nicht über die Zukunft der Kinder (mich in dem Fall) bestimmen zu lassen. Fleiß hat einen großen Wert. Im Sommer arbeiten zu gehen ebenfalls. So hab ich sogar in meinem Matura-Jahr einige Zeit an Wochenenden als Kellnerin gejobbt. Zu Studienzeiten hatte ich zu Bestzeiten 3 Jobs. An zwei Tagen fuhr ich zur Lernbetreuung von 2 - 3 Kindern (zwei waren Geschwister, das war praktisch), an zwei bis drei arbeitete ich im Frühdienst beim Radio und am Wochenende “animierte” ich Kindergeburtstage. Auf der Uni war ich, wenn es notwendig war. 

 

Und so ging das immer weiter. Als ich in Mutterschutz ging und von der Arbeit nach Hause fuhr, heulte ich mal eine Runde im Auto. Ich konnte mir nicht vorstellen, nicht mehr in dieser Form zu arbeiten. Ich bildete mir ein, ich werde gleich nach dem Ende des Mutterschutzes zumindest wieder geringfügig arbeiten (was ich gemacht hab), da meine Mutter auch nicht in Karenz war. Während der Elternkarenz schrieb ich meine Masterarbeit. Der Babysohn schlief oder ich und sein Papa wechselten uns ab. Ich schrieb. Danach startete ich Krachbumm. Und dazwischen und danach ist noch ganz viel anderes passiert, dass noch zusätzlich super anstrengend war. Lang hab ichs durchgehalten. Fast 20 Jahre. Irrsinnig kommt mir das jetzt vor. Und so frage ich mich: Wer bin ich, wenn ich nicht arbeite? Wer bin ich, wenn ich nichts leiste?

 

Als ich mit Anfang 20 über eine andere Ausbildung an einem Feldenkrais-Seminar teilnahm, konnte ich kaum aushalten, ruhig auf dem Boden zu liegen. Ich fühlte mich wie eingesperrt. Mensch muss doch was TUN. (Immerhin hab ich Jahre später mit Yoga angefangen genieße sogar Meditationen mittlerweile. Hätt ich mir nie gedacht.)

 

Das Problem ist ja, ich bin kreativ. Ich liebe es, Ideen zu spinnen und umzusetzen. Alles kann zu einem Projekt werden. Es ist egal, ob es um die Gartenbeetplanung geht oder die Einkaufsliste. Kontrolle ist natürlich auch so ein Thema. Immerhin bin ich nicht perfektionistisch. Das ist aber auch schon wurscht. Ich kompensiere das mit der Größe des Projekts. Das wächst und wächst in meinem Kopf wie ein Krebsgeschwür. Es belagert meine Gedanken zu jeder Tages und Nachtzeit, es frisst sich durch mein Bewusstsein und schiebt sich zwischen mich und die Menschen, die ich liebe. Ich kann an nichts anderes denken. - Hab grade so ein Bild im Kopf, als wär ich von einem bösen Alien besessen und biete mich als Wirt an. 

 

Aber nicht-arbeiten ist halt keine Option. Und jetzt übe ich mich darin, nichts zu leisten. Ich übe, zufrieden zu sein, wenn ich ein Bedürfnis von mir erfüllt hab. Das ist zB Bewegung oder leckeres Essen, in der Natur sein und so. Und wenn ich, während das Kind nun endlich wieder in der Schule ist und seinen Rhythmus und Kontakt zu anderen Kindern zurück gewinnt, nun einfach mal ein paar Stunden mein Gemüsebeet bei Stardewvalley bewässere, weil ich eh schon in der früh Yoga gemacht hab, ist das okay. Auch wenn ich nicht extra für Yoga aufgestanden bin, sondern einfach vorm Wecker wach geworden bin und mir grade mal 10 min für Nacken & Rücken - Yoga mit Mady Morrison gegönnt hab. Auch dann reicht es. Und wenn ich nach dem Kind in die Schule bringen im Wald spazieren gehe und danach 3 Stunden zu Hause in die Luft schaue und meine Gedanken schweifen lasse, dann ist das auch okay. Aber mensch, ist das schwer, dieses okay sein. 

Dabei schaffe ich’s ohne Probleme bei einem gemütlichen Kaffee-Date mit Freund*innen um 10 Uhr vormittags, den Weg zu nutzen, gleich noch Bücher bei der Bibliothek vorbei zu bringen, schnell davor noch Kleidung, die doch nicht passt umzutauschen und dann eh mein Bewegungsbedürfnis (weil mit Rad unterwegs) erledigt zu haben. Und darum reicht es einfach. Es muss nicht immer alles super produktiv sein. 

 

Meine Therapeutin sagt, ich soll mir den Teil meines Selbstwertes, der weiß, dass er nicht von Leistung abhängig ist, der weiß, dass ich gut bin, ohne dass ich etwas dafür leisten muss, vorstellen wie einen Keimling. “Und was soll ich damit tun?” “Nichts. Nur dran denken, wo der schlummert. Sie brauchen nichts dafür tun.” Pfuh. Ich hätte jetzt aber schon gern eine konkrete Aufgabe.